KiM Oktober 2015
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Braucht der Glaube Engel?

Foto: © Elisabeth Patzal_pixelio.de
Foto: © Elisabeth Patzal_pixelio.de

1. Der Glaube gilt nur Gott allein

Der christliche Glaube gilt nur einem, nämlich Gott, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Von diesem Gott glaubt ein Christ, dass er die Welt erschaffen hat, ein Volk erwählt und ihm ein Gesetz gegeben hat, dass er Mensch geworden ist, gestorben und auferstanden ist, seinen Geist hinterlassen hat und die Menschen am Ende der Zeiten richten wird. Gottes Wirken als Vater, Sohn und Geist sind die Glaubensinhalte der kirchlichen Credos, und darauf werden Christen getauft. Bei den Muslimen gehören Engel neben Gott, Koran, Prophet und Auferstehung zu den verbindlichen Credenda. Aber die Engel kommen weder in den christlichen Credos vor noch unter den 13 Glaubenssätzen (Ikkarim), mit denen Maimondes den jüdischen Glauben zusammen fasst. Nun könnte man entgegnen, dass in der Bibel Engel allent-halben vorkommen und daher zum Glauben gehören. Allerdings gibt es auch andere übernatürliche Wesen, wie Leviathan, Behemot (Hiob 40) oder die große Hure Babylon (Apk14), denen Christen seit jeher eine symbolische Bedeutung zugemessen haben, ohne sie als Glaubensgegenstand zu verstehen. Zudem werden Engel an entscheidenden Stellen der Heilsgeschichte nicht direkt erwähnt: Im Schöpfungsbericht werden Vögel, Fische und Tiere aufgezählt , aber nichts zur Erschaffung der Engel gesagt; bei der Übergabe des Gesetzes und dem Bundesschluss sind die Ältesten Israels beteiligt, nicht aber Engel (Ex 24); in der Passionsgeschichte Jesu spielen sie keine Rolle. Erst in den späteren Erzählungen von Jesu Geburt singen Engelchöre. In der Kunst oder in apokryphen Texten (1Henoch, Tobit, Vita Adae et Evae, Petrusevangelium, Apokalypse des Paulus) werden sie dann eingefügt, wo sie dem Bibeltext nach fehlen: Erschaffung der Engel, Fall der Engel, Hilfe im Garten Getsemani , Blutkelch unterm Kreuz, Schutzengel für jeden Christen. Offensichtlich gibt es ein Bedürfnis der Theologen und der Gläubigen, das Wirken der Engel nicht nur als sporadische Spezialeinsätze zu verstehen, sondern als durchlaufende Geschichte einer himmlischen Parallelgesellschaft.

2. Die Austreibung der Engel

Gerade weil beim kaum dogmatisierten Gebiet der Engel die Spekulationswut oft über sich hinausschoss und gerade weil in der Volksfrömmigkeit Engel so gern für die eigenen Bedürfnisse herangezogen wurden, wurden die Bedeutung der Engel vor allem in den letzten500 Jahren immer weiter relativiert:

 

- Die Theologen der Reformation haben an römisch-katholischen Gebetspraktiken kritisiert, dass die Engel- und Heiligenverehrung den wahren Glauben an Gott und die einzige Heilsmittlerschaft Christi verunklare. Die Gläubigen sollten das Gebet zu Engeln um ihre Fürbitte und Hilfe unterlassen und statt dessen auf das Erlöstsein durch Christus vertrauen. Wer Michael anrufen zu müssen glaubt, der glaubt nicht wirklich, dass Christus durch sein Leben und Leiden schon alles für ihn getan hat.

 

- Die Theologie der Moderne wandte sich vom Interesse der scholastischen Gelehrten an Zahl, Namen, Sprache, Begabung, Typen der Engel ab. Der Engeltraktat war im 16. Jahrhundert in einigen Werken wie „De angelis“ von Suarez auf über 1.000 Seiten angewachsen.


- Mit dem Aufkommen der Naturwissenschaft, v. a. der empirischen Astronomie, verloren die Engel einen ihrer wichtigen Wirkungssphären, die Himmel. Seit der Antike hatte man angenommen, dass Mond, Sonne, die Planeten und die Milchstraße von himmlischen Geisteskräften bewegt werden. Sie bevölkern die oberen Sphären, eine Art Kristallkugeln. Die Engel wiederum erhielten ihre Kraft von Gott, dem unbewegten Beweger. In der Bibel taucht diese Vorstellung noch auf, wenn von den Zebaoth, dem Himmelsheer die Rede ist, das Gott gehorcht und die Gestirne antreibt. Wo aber die Erkenntnisse wuchsen, dass die Gestirne Naturgesetzen gehorchen, war es mit solchen Vorstellungen vorbei.

Bild: Dr. Johann Ev. Haffner
Dr. Johann Ev. Hafner, geb. 1963, ist katholischer Theologe, Religionswissenschaftler und Philosoph und seit 2004 Professur für Religionswissenschaft m. d. Schwerpunkt Christentum an der Universität Potsdam. Foto: privat

- Im 19. und 20. Jahrhundert verloren die Engel weitere Glaubwürdigkeit. Die historische Bibelauslegung versuchte, die kerygmatischen von den mythologischen Stellen zu unterscheiden. Das Kerygma sollte den Mensch in seiner innersten Existenz betreffen, wobei es oft von Mythen eingerahmt wurde. Damit war der damals geltende Volksglaube gemeint, wie die Welt entstanden und aufgebaut sei, wie Götter in der Welt wirkten etc. Der Glaube– so die Annahme – beziehe sich darauf, wie der Mensch leben solle, die Mythen hingegen seien die kosmologischen Einkleidungen. Dazu gehören die Engel. Sie seien nicht Teil der Botschaft, sondern hilfreiche Bilder, um Gottes Wort ankommen zu lassen. Freilich musste sich diese Exegese bald die Frage gefallen lassen, warum Gott und sein Gesetz nicht ebenfalls Mythologeme sind.




- In jüngster Zeit werden Engelsvorstellungen von Kognitionsforschern untersucht. Durch Experimente wurde herausgefunden, dass Menschen schon im frühkindlichen Alter einüben, wie es ist, von jemand anderem beobachtet zu werden. Wer sich vorstellt, dass eine Fee oder ein Engel an seiner Seite steht, der bereitet sich damit für zwischenmenschliche Beziehungen vor. Wie sehen mich andere? Wie wirke ich? Engel werden somit als eine Art psychologischer Selbstbespiegelung erklärt und bilden keinen Glaubensgegenstand mehr, sondern sind Teil einer natürlichen Entwicklung.

3. Ein reiner Monotheismus ist nicht möglich

Kann man nach all diesen Engelsaustreibungen überhaupt noch an Engel glauben? Nein, „an“ Engel wurde nie geglaubt, weil der dreifaltige Gott der einzige Adressat des Glaubens ist. Einzig an diesen Gott muss ein Christ glauben und an sonst nichts. Allerdings zeigt schon der christliche Begriff Gottes, dass er in der Beziehung von drei Personen besteht. Insofern ist das Christentum kein reiner Monotheismus, sondern ein Tripersonalismus. Wenn Gott sich den Menschen mitteilt, dann nicht, weil die Menschen durch ihre Vernunft etwas vom Göttlichen erhaschen, sondern weil der Vater sich mitteilen will; der Sohn ist diese Selbstmitteilung; der Geist macht, dass Menschen sie verstehen. Nur ein Gott, der ganz bei sich selber bleiben will, ist im Vollsinn monotheistisch. Von ihm wäre nur was zu erfahren, wenn unabsichtlich Information auf die Menschen herabfließt, Gott aber ganz bei sich bleibt. An einen solch konsequent monistischen und damit unzugänglichen Gott haben einige spekulative Christen in der Antike geglaubt, die man später „Gnostiker“ nennt. Allerdings kann der strikt monotheistisch gedachte Gott nicht in ein Gespräch eintreten, kann nicht mitleiden, kann nicht zuhören.

Sobald sich aber ein Gott für andere öffnet, vervielfältigt er sich in Offenbarer und Geoffenbarter. Einen zugewandten Gott gibt es nur im Plural.

 

 

- In der Hebräischen Bibel nehmen Engel das trinitarische Spiel vorweg. Sie umgeben Gott als eine Art Ministerrat. Sie sind ihm so nah, dass sie öfters „Göttersöhne“ genannt werden, z. B. in Hiob 1, wo sich Gott mit ihnen beratschlagt. In vielen apokryphen und rabbinischen Texten unterhält sich Gott mit den Engeln. Sie dienen dazu, das Selbstgespräch Gottes in ein

echtes Gespräch zu entfalten. Gott wird im Himmel nicht allein vorgestellt, sondern als Vorsitzender oder als Anführer der Himmelsscharen (Jahwe Zebaoth).

 

- In einem sehr alten Vorstellungskreis schickt Gott seinen Boten direkt zu Abraham, Hagar, Mose u. a., um ihnen den Weg zu weisen. Das hebräische

‚malak‘ für Botschafter wird griechisch als aggelos und lateinisch als angelus

übersetzt. Von dieser speziellen Figur leitet sich unser Wort „Engel“ ab. Das Besondere am malak ist, dass der Leser kaum unterscheiden kann, ob dieser für Gott oder als Gott spricht. In vielen Texten – wie in der Erzählung vom brennenden Dornbusch – verschmilzt der Bote mit dem Sender.

 

- In der apokalyptischen Literatur (Henochbuch, Danielbuch) tritt neben Gott ein zweites Wesen, das den eigenartigen Titel „Menschensohn“ trägt. Er hat die Aufgabe, die gefallenen Engel oder die Menschen vor Gott zu vertreten und gleichzeitig, sie anzuklagen. Als Staatsanwalt und Pflichtverteidiger ist er die Mittlerfigur schlechthin und das Alter Ego Gottes. Unklar bleibt, ob der Menschensohn ein hoher Engel oder gar ein zweiter Gott ist. Jedenfalls tritt er immer im Gefolge von Engeln auf (vgl. 1Thess 5) und hat alle Vollmacht Gottes, Offenbarungen zu geben und Entscheide zu fällen. Jesus von Nazareth

hat sich selbst mit diesem Wesen identifiziert, wenn er sich als der zum Gericht kommende Menschensohn bezeichnet. Wichtige Funktionen (Offenbarer und Richter) und die wichtigsten Titel Jesu (Menschensohn und

Gottessohn) sind also der Angelologie entnommen. So überrascht es nicht, wenn in den ersten Jahrhunderten (Justin, Novatian, Philippusevangelium,

Himmelfahrt Jesajas) und in einigen Kirchen heute (Zeugen Jehovas) Jesus als ein hoher Engel verstanden wird oder Engel die Erlösungsaufgaben Christi

übernehmen (Engelesoterik).

 

 

- Selbst dort, wo Gott in seinem eigenen Bereich, dem himmlischen Tempel, geschildert wird, kommen Engel als unaufgebbares Requisit vor: Sie loben ihn, singen das Dreimal-Heilig (Jes 6; Apk 4) oder tragen Gott auf einem

beweglichen Thron (Ez 1). Will man räumliche Kategorien heranziehen, dann

sind diese Lobengel ihm am nächsten. Sie tragen eigenartige Namen wie Cheruben (Wächter) oder Seraphen (Flackernde), aber auch einfach die „Lebewesen“ (chayyot). In der jüdischen Mystik (Merkabah) hat sich gerade

angesichts dieser Thronwesen eine eigene spekulative Frömmigkeit herausgebildet, wie man mithilfe dieser Wesen immer näher an Gott gelangt.

Wieder sehen wir eine ähnliche Logik: Gott wird einerseits als hohe Herrlichkeit vorgestellt, andererseits wird seine Ferne durch Engel entfernt.

Gott kommt der Welt dadurch nahe, dass er sich mit Geschöpfen umgibt, von

denen er sich nicht distanziert 

© A.Windmüller_pixelio.de
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„anhimmeln“ lässt, sondern zu denen er spricht (Jes 6). Da stellt sich die Frage, wie eng diese Wesen mit Gott verwandt sind. Das einzige Dogma

in der ganzen Kirchengeschichte zu Engeln, das IV. Laterankonzil von 1215, legte fest, dass die angelische Welt (wie die sichtbare Welt auch) aus Nichts

erschaffen wurden (DH 800). Damit wurde ausgeschlossen, dass sie aus Gott hervorgehen oder aus einer Urmaterie bestehen. Engel sind also weder ein

Teil Gottes noch ein Teil der sichtbaren Welt, sondern bilden eine eigene Welt. Sie sind zwar Geschöpfe, aber doch transzendent. Sie werden als unsichtbar

und unsterblich, aber nicht als göttlich definiert. Wozu ist dieses Dritte zwischen Gott und Mensch nötig? Würde es nicht genügen, wenn jeder an

seinen Heiland glaubt? 

4. Engel helfen gegen Anthropozentrik

Soteriologisch, also für die Erlösung des Menschen, gilt es einen Negativ-Befund festzuhalten. Engel sind für den Menschen zur Erlangung des Heils nicht notwendig. Die Engelverehrung wurde von den christlichen Kirchen

nur bei Einhaltung bestimmter Standards erlaubt, nicht einmal die katholische Kirche hat das Gebet zu den Engeln für notwendig erklärt. Und Schleier-macher, einer der protestantischen Kirchenväter, sagt, an Engel dürfe man nur glauben, wenn man sie nicht für wichtig nehme. Wenn wir die Engel theologisch als nicht-notwendig (für die Heilsökonomie) bestimmen, mit welchem Recht kommen sie dann in den Traditionen vor? Gerade in ihrer Nicht-Notwendigkeit nehmen sie eine fundamentale religiöse Funktion wahr. Die Rede von den Engeln verhindert, dass aus der Tatsächlichkeit von Gottes Handeln in einer Art logischer Rükkschluss auf eine Zwangsläufigkeit

geschlossen wird („Gott hat so handeln müssen“). Im Gegensatz zur antiken

Mythologie, die eine Kette von Racheakten darstellt, oder zum gnostischen Drama, welches als Prozess abläuft, besteht die biblische Heilsgeschichte aus

souveränen personalen Entscheidungen. Die Rede von den Engeln zeigt an, dass Gott die Heilsgeschichte nicht mit den sparsamsten Mitteln voranbringt,

sondern dass er sich sozusagen etwas Zusätzliches leistet. Engel sind insofern religiöse Redundanz. Nichtnotwendige Engel verhindern, dass die Religion anthropozentrisch enggeführt wird. Solche Engführung legt sich nahe, wenn man von den Heilstaten, dass Gott den Landbewohner Mensch als Ebenbild

erschafft (Gen 1), dem Lehmgebilde Mensch seinen Atem einbläst (Gen 2), dass er dem Menschen die Schöpfung zur Benutzung überlässt, dass er

selbst Mensch wird, schließt, es hätte so sein müssen, weil der Mensch das Beste sei, was Gott schaffen konnte. Gott liebt den Menschen nicht, weil der

Mensch so liebenswürdig ist, sondern der Mensch ist liebenswürdig, weil Gott ihn liebt. So zeigt das Gotteslob der Engel, dass Gottes Höhe und Transzendenz unabhängig von Menschen und weit über der Verehrung durch Menschen stattfindet. Engel lobten schon vor der Erschaffung des Menschen und loben „im Himmel“, selbst wenn kein einziger Mensch Gott verehrte.

Diese Vorstellung hilft gegen die Versuchung, den menschlichen Gottesdienst zu überschätzen, z. B. durch die Annahme, Gott wäre auf unseren Kult oder unser Gebet angewiesen. Das Motiv der Engel bildet eine Art Konkurrenz-gruppe zu den Menschen, nur mit besserer Ausstattung: klarer Sicht,

kompromisslosem Willen, reinem Denken. Die Vergleichsgruppe der Engel löst das polare Gegenüber Gott - Mensch auf in einen Wettstreit der Geschöpfe,

bei Gott sein zu dürfen.